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5 Typische Probleme bei der Umsetzung von EU-Richtlinien

5.1 Verfassungsrechtliche Vorgaben

Eine bei der Umsetzung von EU-Richtlinien in deutsches Recht typische Herausforderung ist es, die Reichweite der Geltung des GG zu erkennen und angemessen zu berücksichtigen. Da das europäische Primär- und Sekundärrecht Vorrang vor dem GG hat, besteht eine Bindung des deutschen Gesetzgebers an die Vorgaben von EU-Richtlinien, soweit diese den Mitgliedstaaten keinen Spielraum bei der Umsetzung gewähren. Wo eine solche Bindung des Mitgliedstaates aber nicht gegeben ist, ist der deutsche Gesetzgeber unbedingt zur Beachtung des GG verpflichtet. Eine besondere Bedeutung haben dabei die Grundrechte: Eingriffe in Grundrechte müssen dann – falls sie nicht vermeidbar sind – möglichst schonend sein, d.h., dass der Gesetzgeber diejenige Variante der Richtlinienumsetzung wählen muss, welche die betroffenen Bürger am wenigsten belastet. Es ist nur im Wege der Auslegung der entsprechenden EU-Richtlinien zu ermitteln, ob bzw. welche Spielräume der nationale Gesetzgeber hat. In diesen Fällen kann es Konflikte zwischen den für die Umsetzung der EU-Richtlinien federführenden Ressorts einerseits und den Verfassungsressorts sowie Interessengruppen, Ländern und gesellschaftlichen Organisationen andererseits geben.

Ein Gesetz, das eine EU-Richtlinie in deutsches Recht umsetzt, kann vom Bundesverfassungsgericht nur insoweit auf seine Verfassungskonformität geprüft und ggf. verworfen werden, als dem nationalen Gesetzgeber die beschriebenen Spielräume tatsächlich zustehen und er diese nicht im Sinne einer möglichst grundrechtsfreundlichen Ausgestaltung nutzt. Das Bundesverfassungsgericht ist jedoch berechtigt und verpflichtet, Handlungen der europäischen Organe und Einrichtungen daraufhin zu überprüfen, ob sie aufgrund ersichtlicher Kompetenzüberschreitungen (Ultra-vires-Kontrolle) oder aufgrund von Kompetenzüberschreitungen im nicht übertragbaren Bereich der Verfassungsidentität (Wahrung der Verfassungsidentität; Artikel 79 Absatz 3 i.V.m. Artikel 1 und Artikel 20 GG) erfolgen, und gegebenenfalls die Unanwendbarkeit kompetenzüberschreitender Handlungen für die deutsche Rechtsordnung festzustellen.

5.2 Parallele Umsetzung in Bundes- und Landesrecht

Aufgrund der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern kommt es zu der Situation, dass eine EU-Richtlinie sowohl Bundes- als auch Länderzuständigkeiten berührt. Dies stellt Bundes- und Ländergesetzgebung vor die Aufgabe, die EU-Richtlinie inhaltlich und verfahrenstechnisch kongruent umzusetzen. Hier kann es zu Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern nicht nur über die jeweiligen Zuständigkeiten für die Umsetzung, sondern auch über deren Inhalte kommen. Der Bund hat zwar nicht das Recht, den Ländern selbst Vorgaben zur – aus seiner Sicht – korrekten Umsetzung der EU-Richtlinien zu machen, muss aber aufgrund seiner gesamtstaatlichen Verantwortung im Verhältnis zur EU für eine fehlerfreie Richtlinienumsetzung einstehen. Aus dem in Artikel 20 Absatz 1 GG verankerten Bundesstaatsprinzip folgt für die Länder die Pflicht, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine korrekte und fristgemäße Umsetzung von EU-Richtlinien Sorge zu tragen. Verletzen die Länder diese Pflicht, müssen sie den Bund von den Folgen eines sich daraus ergebenden Vertragsverletzungsverfahrens (insbesondere von Aufwendungen für Strafgelder) freistellen (siehe Artikel 104a Absatz 6 GG i.V.m. dem Gesetz zur Lastentragung im Bund-Länder-Verhältnis bei Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen [Lastentragungsgesetz – LastG]).

5.3 Auswahl des Regulierungstyps

Sollen EU-Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt werden, ist zu fragen, welche Form der Regelung geeignet ist (Normhierarchie, Regelungstyp). Form und Mittel müssen geeignet sein, das von der Richtlinie verbindlich vorgeschriebene Ziel zu erreichen. Insbesondere muss eine hinreichend bestimmte und klare Umsetzung erfolgen, so dass – soweit eine Richtlinie dem Einzelnen Rechte gewährt – dieser von seinen Rechten Kenntnis erlangen und diese, wenn erforderlich, vor den Gerichten durchsetzen kann. Diesen Erfordernissen der Publizität, Klarheit und Bestimmtheit genügen Parlamentsgesetze und Rechtsverordnungen. Ob auch die Umsetzung in Verwaltungsvorschriften als ausreichend angesehen werden kann, ist umstritten. Eine nicht ausreichende Umsetzung stellt die bloße Änderung der Verwaltungspraxis dar. Sofern die Umsetzung durch Selbstregulierung erfolgen soll, muss diese ebenfalls den oben genannten Anforderungen genügen.

5.4 Vorklärung rechtssystematischer und terminologischer Fragen mit der EU-Kommission

Besonders bei umfangreichen bzw. innovativen Richtlinienwerken der EU tritt immer wieder die Frage auf, wie die deutsche Rechtsordnung deren Systematik und Terminologie gerecht werden kann. Eine bloße, mehr oder weniger wortgleiche Übernahme von EU-Richtlinien ist dabei häufig kein geeignetes Mittel der Umsetzung.

Bestehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Umsetzung, kann eine informelle Konsultation der EU-Kommission auf Arbeitsebene noch deutlich vor dem Notifizierungsverfahren sinnvoll sein. So kann abgeklärt werden, ob eine vorgesehene Regelung im deutschen Recht voraussichtlich europarechtlich einwandfrei ist. Die Vorklärung der Rechtslage hat auch den Vorteil, dass Konflikte zwischen den am nationalen Gesetzgebungsverfahren Beteiligten vermieden oder frühzeitig beigelegt werden können.

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