2 Beratung des Gesetzesbeschlusses im Bundesrat
2.1 Einspruchs- und Zustimmungsgesetze
Für das Gesetzgebungsverfahren ist von entscheidender Bedeutung, ob
- das Gesetz für sein Zustandekommen der Zustimmung des Bundesrates bedarf, der Bundesrat das Gesetzgebungsvorhaben mithin durch die Versagung seiner Zustimmung scheitern lassen kann (Zustimmungsgesetz) oder
- es sich lediglich um ein Einspruchsgesetz handelt, d.h., ob der Bundesrat gegen das Gesetz – nach Anrufung des Vermittlungsausschusses – zwar Einspruch einlegen, dieser jedoch vom Bundestag zurückgewiesen und damit das Zustandekommen des Gesetzes vom Bundesrat nicht verhindert werden kann.
Nach der Regelungssystematik des Grundgesetzes sind Gesetze grundsätzlich Einspruchsgesetze, es sei denn, das Grundgesetz ordnet die Zustimmungsbedürftigkeit im Einzelfall ausdrücklich an. Die Zustimmungsbedürftigkeit ist also kasuistisch-enumerativ und damit abschließend geregelt.
Im Einzelnen ergibt sich die Zustimmungsbedürftigkeit aus folgenden Bestimmungen des Grundgesetzes:
- Artikel 16a Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3 Satz 1
- Artikel 23 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 7
- Artikel 29 Absatz 7 Satz 1, 2
- Artikel 72 Absatz 3 Satz 2
- Artikel 73 Absatz 2
- Artikel 74 Absatz 2
- Artikel 79 Absatz 2
- Artikel 84 Absatz 1 Satz 3, 6 i.V.m. Satz 5 sowie Absatz 5 Satz 1
- Artikel 85 Absatz 1 Satz 1
- Artikel 87 Absatz 3 Satz 2
- Artikel 87b Absatz 1 Satz 3, 4 und Absatz 2 Satz 1, 2
- Artikel 87c
- Artikel 87d Absatz 2
- Artikel 87e Absatz 5 Satz 1, 2
- Artikel 87f Absatz 1
- Artikel 91a Absatz 2
- Artikel 91c Absatz 4
- Artikel 91e Absatz 3
- Artikel 96 Absatz 5
- Artikel 104a Absatz 4, 5 Satz 2 und Absatz 6 Satz 4
- Artikel 104b Absatz 2 Satz 1
- Artikel 105 Absatz 3
- Artikel 106 Absatz 3 Satz 3, Absatz 4 Satz 2, Absatz 5 Satz 2, Absatz 5a Satz 3 und Absatz 6 Satz 5
- Artikel 106a Satz 2
- Artikel 106b Satz 2
- Artikel 107 Absatz 1 Satz 2, 4
- Artikel 108 Absatz 2 Satz 2, Absatz 4 Satz 1 und Absatz 5 Satz 2
- Artikel 109 Absatz 4 und Absatz 5 Satz 3
- Artikel 109a Satz 1
- Artikel 115c Absatz 1 Satz 2 und Absatz 3
- Artikel 115k Absatz 3 Satz 2
- Artikel 115l Absatz 1 Satz 1
- Artikel 120a Absatz 1 Satz 1
- Artikel 134 Absatz 4
- Artikel 135 Absatz 5
Artikel 135a i.V.m. Artikel 134 Absatz 4 oder i.V.m. Artikel 135 Absatz 5 - Artikel 143a Absatz 3 Satz 3
- Artikel 143b Absatz 2 Satz 2
- Artikel 143c Absatz 4
- Artikel 143d Absatz 2 Satz 3, 5 und Absatz 3 Satz 2 sowie
- – für den Gesetzgebungsnotstand – Artikel 81 Absatz 1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedarf auch ein Gesetz, das die in Artikel 80 Absatz 2 GG festgelegte Mitwirkung des Bundesrates bei der Verordnungsgebung mit konstitutiver Wirkung aufhebt, der Zustimmung des Bundesrates (BVerfGE 28, 66, 76 ff.). Es handelt sich hierbei um den einzigen ungeschriebenen Zustimmungstatbestand.
Bei der Erstellung von Gesetzentwürfen durch die Bundesregierung sind im Hinblick auf die Zustimmungsbedürftigkeit die Vorgaben des § 43 Absatz 4 und des § 49 Absatz 2 GGO zu beachten. Für Fragen stehen das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Justiz im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung zur Verfügung.
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2.2 Ausschussberatungen und Rolle der Bundesregierung
Für die Ausschussberatungen und die Rolle der Bundesregierung in diesem Verfahrensabschnitt gelten die bereits weiter oben dargelegten Ausführungen entsprechend. Allerdings ist zu beachten, dass am Ende des Verfahrens keine detaillierte Stellungnahme der Ausschüsse zum Gesetzesbeschluss steht, sondern die Empfehlung an das Plenum, dem Gesetzesbeschluss des Bundestages zuzustimmen bzw. nicht zuzustimmen (Artikel 78 1. Alternative GG) oder den Vermittlungsausschuss anzurufen bzw. nicht anzurufen (Artikel 77 Absatz 2, 2a und Absatz 3 Satz 1 GG).
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2.3 Beschluss des Plenums
Für die Beschlussfassung des Plenums gelten die bereits weiter oben dargelegten Ausführungen entsprechend. Das Plenum entscheidet über das Votum der Ausschüsse, dem Gesetzesbeschluss des Bundestages zuzustimmen, ihn abzulehnen oder den Vermittlungsausschuss anzurufen (Artikel 77 Absatz 2 Satz 1 GG). Siehe hierzu § 30 Absatz 1 GO BR.
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2.3.1 Zustandekommen von Gesetzen und Zustimmung zum Gesetzesbeschluss
Das Zustandekommen von Gesetzen ist in Artikel 78 GG geregelt, der verschiedene Varianten kennt.
Als erste Variante nennt Artikel 78 GG den Fall, dass der Bundesrat einem Gesetzesbeschluss ausdrücklich zustimmt. Dies betrifft in erster Linie Zustimmungsgesetze. Theoretisch möglich ist eine Zustimmung aber auch bei Einspruchsgesetzen (zur Einleitungsformel vgl. in diesen Fällen § 59 Absatz 2 GGO). Das Gesetzgebungsverfahren ist damit im Wesentlichen beendet, es bedarf nunmehr nur noch der Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes im Bundesgesetzblatt, damit es in Kraft treten kann.
Die übrigen Varianten des Artikels 78 GG betreffen Fälle, in denen ein Gesetz zustande kommt, ohne dass der Bundesrat ausdrücklich zugestimmt hat. Sie betreffen damit ausschließlich Einspruchsgesetze, nicht aber Zustimmungsgesetze.
Stimmt der Bundesrat einem zustimmungsbedürftigen Gesetz nicht zu, endet das Gesetzgebungsverfahren nur dann, wenn Bundestag oder Bundesregierung nicht den Vermittlungsausschuss nach Artikel 77 Absatz 2 Satz 4 GG anrufen. In der Praxis erfolgt die Anrufung des Vermittlungsausschusses in diesen Fällen jedoch häufig.
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2.3.2 Anrufung des Vermittlungsausschusses - Fortsetzung des Gesetzgebungsverfahrens
Der Vermittlungsausschuss kann nur tätig werden, wenn er angerufen wird. Während der Bundesrat den Vermittlungsausschuss sowohl bei Einspruchs- als auch bei Zustimmungsgesetzen anrufen darf, steht dem Bundestag und der Bundesregierung dieses Recht nur bei Zustimmungsgesetzen zu. Der Vermittlungsausschuss kann in einem Gesetzgebungsverfahren mehrfach angerufen werden; ebenso kann die Anrufung mehrfach zurückgenommen werden.
Für die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat gilt eine Frist von drei Wochen (Artikel 77 Absatz 2 Satz 1 GG). Für die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundestag oder die Bundesregierung gibt es keine ausdrückliche Frist; nach herrschender Auffassung muss die Anrufung allerdings in einer angemessenen Frist erfolgen.
Für die Anrufung des Vermittlungsausschusses gibt es keine Formerfordernisse. Demnach ist eine Anrufung des Vermittlungsausschusses auch mit dem allgemeinen Petitum (Antrag, Gesuch) einer Überarbeitung zulässig. In der Praxis enthält die Anrufung durch den Bundesrat jedoch regelmäßig konkrete Hinweise auf die streitigen Punkte. Bundestag und Bundesregierung verbinden die Anrufung des Vermittlungsausschusses regelmäßig nicht mit konkreten Anträgen.